Arbeitsrechtliche Mythen halten sich hartnäckig in vielen Unternehmen und können zu weitreichenden Missverständnissen und rechtlichen Auseinandersetzungen führen. Dieser Artikel beleuchtet einige der verbreitetsten Irrtümer und stellt klar, was rechtlich tatsächlich Bestand hat. Dabei wird auf aktuelle Gerichtsurteile und Gesetzestexte Bezug genommen, um ein präzises Verständnis der Rechtslage zu gewährleisten.
Im Vorstellungsgespräch dürfen Bewerber nicht lügen
Beim Vorstellungsgespräch müssen Bewerber nicht in jedem Fall die Wahrheit sagen. Fragen bezüglich der beruflichen Laufbahn, Erfahrungen und fachlichen Fähigkeiten erfordern selbstverständlich eine ehrliche Beantwortung. Unwahrheiten, insbesondere bei Angaben zu Zeugnisnoten oder Abschlüssen, können rechtliche Folgen nach sich ziehen. Dennoch existieren Themenbereiche, über die Arbeitgeber legitimerweise keine Auskünfte verlangen dürfen. Hierzu zählen private und persönliche Aspekte wie Familienplanung, gesundheitlicher Zustand oder Gewerkschaftszugehörigkeit.
Es ist laut Georg Conrad, Anwalt in Saarlouis, unzulässig, wenn der Arbeitgeber Fragen zur Privatsphäre oder Intimsphäre stellt, zum Beispiel bezüglich Partnerschaft, Heiratsabsichten, Kinderwunsch oder religiöser beziehungsweise politischer Zugehörigkeit. In solchen Fällen ist es den Bewerbern gestattet, die Unwahrheit zu sagen, sollten sie die Stelle dennoch anstreben und das Gespräch nicht abbrechen wollen. Ein entsprechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts stützt dieses Recht (Urteil vom 06.02.2003, Aktenzeichen: 2 AZR 621/01).
Arbeitsverträge sind nur in Schriftform gültig
Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass ein Arbeitsvertrag zwingend schriftlich abgeschlossen werden muss. In Wirklichkeit besteht Formfreiheit, sodass Verträge auch mündlich, per Handschlag oder durch die bloße Aufnahme der Arbeitstätigkeit zustande kommen können. Das Nachweisgesetz verpflichtet jedoch den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer spätestens einen Monat nach Arbeitsbeginn schriftliche Angaben zu den wesentlichen Vertragsbedingungen zu übermitteln.
Obwohl ein mündlich geschlossener Arbeitsvertrag rechtlich gültig ist, wird aus Gründen der Rechtssicherheit empfohlen, Arbeitsverträge schriftlich zu fixieren. Ein schriftlicher Vertrag kann bei eventuellen Unstimmigkeiten als Beweis für die vereinbarten Konditionen dienen.
Ein spezieller Fall betrifft befristete Arbeitsverträge: Diese müssen ausnahmslos schriftlich festgehalten werden. Eine nur mündliche Vereinbarung einer Befristung hat keine Gültigkeit, wodurch der Arbeitsvertrag als unbefristet gilt. Möchte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis dann beenden, ist eine formelle Kündigung notwendig. Dies wurde auch in einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts bestätigt (Urteil vom 04.11.2015, Aktenzeichen: 7 AZR 933/13).
Gespräche über das Gehalt sind untersagt
Es besteht keine rechtliche Grundlage, die es Mitarbeitern untersagt, über ihr Gehalt zu sprechen. Anweisungen von Vorgesetzten, über den Verdienst zu schweigen, sind rechtlich unzulässig. Dies steht im Einklang mit den Zielen des Entgelttransparenzgesetzes, das seit 2018 in Kraft ist und insbesondere darauf abzielt, die Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern zu verringern. Das Gesetz ermöglicht es Mitarbeitern sogar, individuelle Auskünfte über die Bezahlung zu erfragen.
Dennoch gibt es vertragliche Verschwiegenheitsvereinbarungen, die rechtlich haltbar sind. Diese betreffen jedoch nicht die Offenlegung des eigenen Gehalts, sondern die Wahrung von Betriebsgeheimnissen oder den Schutz von sensiblen Kundendaten. Unternehmen, die gesetzlich zur Geheimhaltung verpflichtet sind, wie Krankenhäuser, Arztpraxen oder Rechtsanwaltskanzleien, achten besonders darauf, dass solche Informationen nicht extern kommuniziert werden.
Bei einer Krankschreibung müssen Arbeitnehmer zuhause bleiben
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass arbeitsunfähige Arbeitnehmer während einer Krankschreibung zwingend zu Hause bleiben müssen. Tatsächlich kann es für die Genesung förderlich sein, das Haus zu verlassen, beispielsweise um ärztlich verordnete Übungen durchzuführen oder sogar zu verreisen, wenn dies der Erholung dient, wie etwa ein Aufenthalt am Meer bei Atemwegserkrankungen.
Allerdings ist darauf zu achten, dass Aktivitäten, die der Genesung abträglich sind, wie etwa nächtelange Kneipentouren, vermieden werden sollten. Solches Verhalten kann arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, einschließlich Abmahnungen oder im Extremfall eine fristlose Kündigung. Besonders gravierend sind Fälle selbstverschuldeter Arbeitsunfähigkeit durch grob fahrlässiges Handeln, was ebenfalls zur Verweigerung der Lohnfortzahlung führen kann, wie das Bundesarbeitsgericht bereits 1971 feststellte (Urteil vom 23.11.1971, Aktenzeichen: 1 AZR 388/70).
Im Lohn sind Überstunden pauschal enthalten
Es ist ein Trugschluss, dass Überstunden generell durch das reguläre Gehalt abgedeckt sind. Arbeitsvertragsklauseln, die besagen, dass Überstunden grundsätzlich nicht gesondert vergütet werden, sind oft unwirksam. Dies betrifft auch Formulierungen wie „übliche Überstunden“, „Überstunden in geringfügigem Umfang“ oder „in angemessenem Rahmen“. Diese Klauseln sind für Arbeitnehmer nicht hinreichend klar, da sie nicht eindeutig definieren, wann und in welchem Umfang Überstunden zu leisten sind.
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass solche unpräzisen Klauseln nicht zulässig sind, weil sie den Arbeitnehmern keine klare Vorstellung davon geben, auf was sie sich einlassen (Urteil vom 01.09.2010, Aktenzeichen: 5 AZR 517/09). Eine klare und rechtlich haltbare Regelung ist es hingegen, wenn genau festgelegt wird, wie viele Überstunden im Monat mit dem Gehalt abgegolten sind, zum Beispiel „10 Überstunden pro Monat sind mit dem Gehalt abgegolten“.
Das Internet im Unternehmen darf nicht privat genutzt werden
Es ist nicht grundsätzlich verboten, das Internet am Arbeitsplatz privat zu nutzen, allerdings kann dies bei Missbrauch zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Übermäßiges privates Surfen, insbesondere wenn es ausdrücklich untersagt ist, kann zu einer fristlosen Kündigung führen, wie ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln zeigt (Urteil vom 07.02.2020, Aktenzeichen: 4 Sa 329/19).
Grundsätzlich gilt, dass Mitarbeiter ihre Arbeitsleistung zu erbringen haben und nicht für private Internetnutzung bezahlt werden. Fehlt eine explizite betriebliche Regelung, sollte davon ausgegangen werden, dass die private Nutzung des Internets am Arbeitsplatz nicht erlaubt ist.
In vielen Fällen gestatten Arbeitgeber jedoch eine moderate private Internetnutzung. Dies kann im Arbeitsvertrag geregelt oder durch eine Betriebsvereinbarung festgelegt sein. In Abwesenheit einer klaren Regelung sollte eine offizielle Erlaubnis eingeholt werden. Falls private Nutzung geduldet wird, ist ein maßvoller Umgang ratsam, um arbeitsrechtliche Probleme zu vermeiden.
Eine Kündigung ist nur nach drei Abmahnungen erlaubt
Es existiert keine Regelung, dass eine Kündigung erst nach drei Abmahnungen erfolgen darf. Tatsächlich kann ein Arbeitgeber in bestimmten Fällen sogar ohne vorherige Abmahnung kündigen. Vertragswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers kann jedoch zu einer Abmahnung führen, wobei der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, wiederholt abzumahnen, um dem Arbeitnehmer die Chance zu geben, sein Verhalten zu ändern. Im Normalfall ist eine verhaltensbedingte Kündigung erst zulässig, nachdem das Fehlverhalten abgemahnt wurde, wie aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts hervorgeht (Urteil vom 12.01.2006, Aktenzeichen: 2 AZR 21/05).
Die Abmahnung dient der Warnung an den Arbeitnehmer. Sollte das Fehlverhalten sich wiederholen oder nicht abgestellt werden, kann dies zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen. Typische Gründe für eine Abmahnung sind Arbeitszeitverstöße, die Nichtbeachtung von Anweisungen oder das Beleidigen von Kollegen.
Bestimmte Verhaltensweisen können direkt zu einer außerordentlichen Kündigung führen, ohne dass eine Abmahnung erforderlich ist. Dazu zählen schwerwiegende Vergehen wie Diebstahl von Firmeneigentum. Dies gilt selbst dann, wenn der entwendete Gegenstand von geringem Wert ist, wie aus einem weiteren Urteil des Bundesarbeitsgerichts ersichtlich ist (Urteil vom 11.12.2003, Aktenzeichen: 2 AZR 36/03).
Arbeitsverträge können maximal zwei Jahre befristet werden
Die Annahme, dass Arbeitsverträge grundsätzlich maximal zwei Jahre befristet sein können, ist nicht vollständig korrekt und bedarf einer differenzierten Betrachtung. Die Zwei-Jahres-Regel trifft auf befristete Arbeitsverträge zu, die ohne sachlichen Grund ausschließlich auf Basis einer zeitlichen Begrenzung geschlossen werden. Laut Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG, § 14 Absatz 2) ist eine solche kalendermäßige Befristung nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren zulässig, wobei innerhalb dieses Zeitraums bis zu drei Verlängerungen des Vertrages möglich sind.
Ein Vertrag ohne sachlichen Grund kann somit beispielsweise initial auf ein Jahr befristet und anschließend maximal zweimal verlängert werden, solange die Gesamtdauer die Zwei-Jahres-Grenze nicht überschreitet. Anders verhält es sich bei Verträgen, die aufgrund eines sachlichen Grundes befristet sind, wie etwa zur Vertretung eines erkrankten Mitarbeiters. Diese können für eine Dauer von mehr als zwei Jahren oder mehr als dreimal hintereinander abgeschlossen werden, je nach Notwendigkeit und Dauer des sachlichen Grundes.
Das Unternehmen bestimmt, wann Mitarbeiter Urlaub nehmen dürfen
Es ist nicht zutreffend, dass Unternehmen allein bestimmen können, wann Mitarbeiter ihren Urlaub nehmen dürfen. Laut Bundesurlaubsgesetz sind die Wünsche der Angestellten grundsätzlich zu berücksichtigen, solange keine dringenden betrieblichen Belange dem entgegenstehen. Solche Belange können beispielsweise das Weihnachtsgeschäft oder fristgebundene Projekte sein, die eine Sperrung von Urlaubszeiten für einzelne oder alle Mitarbeiter rechtfertigen können.
In Zeiträumen, in denen typischerweise viele Mitarbeiter gleichzeitig Urlaub wünschen, wie während der Schulferien, muss der Arbeitgeber eine soziale Auswahl treffen. Hierbei erhalten häufig Angestellte mit schulpflichtigen Kindern den Vorzug, um ihre Urlaubswünsche zu erfüllen. Ein einmal genehmigter Urlaub darf jedoch nur unter sehr seltenen Umständen vom Arbeitgeber zurückgenommen werden.
Eine Kündigung ist in der Probezeit immer möglich
Eine Kündigung in der Probezeit ist nicht ohne Weiteres jederzeit möglich. Zwar ist kein besonderer Kündigungsgrund erforderlich, doch muss auch während der Probezeit die gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten werden. Diese beträgt in der Regel zwei Wochen. Eine fristlose Kündigung ist auch in der Probezeit nur unter strengen Voraussetzungen möglich. Sie kann nur dann ausgesprochen werden, wenn ein schwerwiegender Pflichtverstoß vorliegt. Beispiele für solche Verstöße sind wiederholtes unentschuldigtes Fehlen, das Vortäuschen einer Erkrankung oder der Diebstahl von Firmeneigentum.
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